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Reise durch den Advent

1. Dezember

08.Juni 2014, Bangkok (Thailand)

„Heute geht es los! Endlich mache ich mich auf nach Myanmar! Und so wie meine Reise nach Thailand begonnen hat, beginnt auch diese: mit einer dicken Erkältung. Der Optimismus sieht es als gutes Omen, welcher keiner Begründung bedarf. Gestern Abend lag ich im Bett und habe überlegt, was ich mittlerweile vermisse… ganz klar: mein eigenes Bett, Brot, Frischkäse und Schwarzbier. Darauf kann ich aber auch noch etwas länger verzichten.“


2. Dezember

09. Juni 2014, Myawaddy (Myanmar), früh morgens nach Grenzüberquerung

„Wollte heute eigentlich weiter nach Yangon reisen – Pustekuchen! Gerade erfahren, dass die Straße zur nächstgrößeren Stadt so schmal ist, dass die Verkehrsrichtung täglich wechselt. Am einen Richtung Grenze, am anderen ins Landesinnere. Was nun? Werde ein Mototaxi nehmen, das ist so schmal, dass es sich an den Autos vorbeischlängeln kann. Es hat gerade zu regnen begonnen. Die Straße soll nicht immer befestigt sein, dafür aber schön steil. Könnte abenteuerlich werden.“ 


3. Dezember

Immer noch 09. Juni 2014, wieder zurück in Myawaddy (Myanmar)

„Im Nu saß ich hinten auf dem Mototaxi. Die Fahrt wurde entweder von einer weiteren Polizeikontrolle unterbrochen, die meinen Pass begutachteten oder von einem Stop am nächsten Betelnussstand, an dem der Fahrer sich neue Päckchen in den Mund schob und genüsslich darauf herumkaute. Ging es weiter, spuckte er regelmäßig seinen rotgewordenen Speichel auf die Straße. Spritze manchmal mehr als mir lieb war, doch der Dauerregen wusch es weg. Sein Fahrstil gefiel mir umso besser. Gekonnt und der Situation entsprechend sicher. Nach 1 ½ Stunden befahl uns eine erneute Polizeikontrolle jedoch lieber umzudrehen. Es sei zu gefährlich. Damit hatten sie sicher recht. Ich war seit, abgesehen vom dämmrigen Schlaf im Nachtbus, fast schon 48 Stunden auf den Beinen. Wäre ich bei klarem Verstand gewesen, hätte ich mich sicher nicht auf den Roller gesetzt. Wie Mama immer sagt: Es gibt mehr Glücksfälle als Unglücksfälle.“ 


4. Dezember

10. Juni 2014, Myawaddy (Myanmar), früh morgens mit Tee

„Sitze auf einem kleinen Balkon mit Blick auf den Grenzfluss Moei und einem überdimensionalen Plakat für Whitening Creame. Witzig! Die einen sehnen sich nach möglichst heller haut, die anderen möchten brauner werden. Der Mensch ist auch nie damit zufrieden was er hat.
„Die Brücke der Freundschaft“ verbindet Thailand und Myanmar miteinander. Im Kontext der Uferseiten und das, was dahinter liegt ein Euphemismus sondergleichen!
Ich sei die erste westliche Reisende seit Monaten, erzählte mir der hilfsbereite Grenzbeamte, der nicht älter als ich zu sein schien. Frische 20… Tja, so unterschiedlich können Leben sein. Die eine: frisch gebackene Abiturientin mit einem Rucksack und genug Geld um drei Monate durch Asien zu reisen und der andere in Uniform am Grenzposten Myanmar/Thailand mit besserem Englisch ausgestattet als seine Kollegen. Hätte mich gerne länger mit ihm unterhalten. Heute geht es aber weiter Richtung Yangon.“ 


5. Dezember

10. Juni 2014, Irgendwo (Myanmar)

„Der zweite Tag in Myanmar ist wiedermal ganz schön aufregend! Habe den Eindruck, dass hier nicht viele Europäer unterwegs sind. Sitze gerade an einer Busstation. Wo genau diese liegt, kann ich nicht sagen. Der Taxifahrer hat mich hier, nachdem wir ausgiebig Essen waren, abgesetzt. In Myanmar gibt es kein mobiles Internet und gerade auch kein Netz. Klein ist der Ort, nicht viel größer als die Busstation. In zwei Stunden soll der Bus nach Yangon starten. Um vier Uhr morgens (!!!) Ankunftszeit. Die anderen Wartenden schauen ziemlich neugierig und beobachten mich genau. Gerade kam eine junge Familie und wir versuchten miteinander zu reden. Hat nicht so recht geklappt aber ein verwackeltes Foto ist zur Erinnerung geblieben und wir hatten Spaß zusammen. Auch ohne viele Worte.“ 


6. Dezember

 10. Juni 2014, Nachts im Bus (Myanmar)

 „Um 18 Uhr stieg ich in den marode-aussehenden Bus. Ich habe das ‚große Glück‘ im Gang zu sitzen, neben mir eine Frau, die sich ziemlich breit macht. Immerhin gab es da eine Armlehne zum Gang hin. Betonung auf gab… nach kurzer Zeit brach sie weg und um beim Einschlafen weder zur Frau hin zu sacken noch im freien Fall auf dem Boden zu landen, presse ich nun schon seit zwei Stunden meine Beine gegen den Vordersitz. Beim Schlafen die Spannung zu halten ist nicht gerade leicht, lenkt mich aber vom Kotzgeruch ab, der schon seit Anfang der Fahrt in der Luft steht. Wie dieser zu Stande kam, habe ich immer noch lebhaft vor Augen! Zwei Reihen schräg hinter mir platzierte sich ein junger Mann. Kurz darauf hörte ich ein Würgegeräusch, dann klatschte etwas auf den Boden zwischen die Sitze seiner Reihe. Noch bevor der Bus überhaupt losfuhr! Niemand schien es zu bemerken. Danach nahm der Mann seinen Schuh und schob sein Verdautes mit zwei Wischbewegungen unter den Nebensitz und setze sich nach ganz vorne. Ich bekomm hier schon einiges geboten! Denn kurz darauf stieg ein weiterer Passagier ein und setze sich, nichts ahnend, über die Kotze. Zuerst hat er es glaube ich nichts gemerkt aber später hat ihn wohl ein merkwürdiger Geruch gestört. Zumindest saß er irgendwann nicht mehr dort.“


7. Dezember

11. Juni 2014, endlich in Yangon angekommen (Myanmar)

 

„Die Nacht habe ich kaum geschlafen. Denn synchron zu meinen zufallenden Augen, viel mein schwerer Körper in den Gang. Zweimal musste mich der Mönch auf der anderen Seite auffangen und bewahrte mich von üblen Prellungen. Er schien belustigt, ich peinlich berührt. Immerhin kamen wir eine Stunde verfrüht um 03:00 morgens an. Yeah! Ich hatte einen größeren Busbahnhof erwartet. Das Hotel hatte sicher noch nicht auf. Es regnete in Strömen – Monsunzeit! Ich suchte Schutz in einem kleinen und von anderen Wartenden überfüllten Kabuff. Mir war etwas mulmig zumute. Ich war tot müde. Wollte nicht einschlafen, alles war so fremd und die Menschen beäugten mich. Ich war zu erschöpft, um den Ausdruck ihrer Gesichter zu deuten. Ich ließ mich nieder und schließ sofort ein. Als ich aufwachte und hochblickte, standen drei Männer um mich gescharrt und betrachteten mich von oben herab, unterhielten sich dabei. Mir blieb kurz das Herz stehen. Dann lachten die Männer freundlich, halfen mir auf und organisierten mir ein Taxi, dass mich letztendlich zum Hotel fuhr. Mein Rucksack hatte man beim Abladen in eine metertiefe Pfütze geworfen und ich musste feststellen, dass der Inhalt klitschnass geworden war. Gerade habe ich die Schnauze voll von Abenteuer auf schlechten Straßen, in ranzigen nach Kotze-riechenden Bussen oder mit einem Herzstillstand aufzuwachen. Überlege einen Flieger wieder zurück nach Thailand zu nehmen. Gehe jetzt aber erstmal Frühstücken!“ 


8. Dezember

15. Juni 2014, im Thabarwa - Meditationscentrum (Myanmar)

"Gestern Nachmittag im Thabarwa-Centrum angekommen. Ein riesen Arial, das sehr viel mehr ist als 'nur' ein Meditationscentrum. Unter der Leitung des Sayadaw (Hauptmönch) setzt sich die Nonnen- und Mönchsgemeinschaft für soziale Projekte ein. Das Sozialsystem in Myanmar folgt anderen Regeln. Die Menschen sind sich hier vielmehr selbst überlassen. Der Staat fängt sie nicht in der Not auf. Das Thabarwa-Centrum scheint diese Lücke füllen zu wollen. Eine Nonne erklärt mir, dass dieser Ort für alle Menschen sei. Es gibt ein Hospiz, in de, sie auf der Straße aufgelesene Menschen in den Tod begleiten. Auch gibt es Unterkünfte für ältere Menschen, ein improvisiertes Krankenhaus im Aufbau, eine Schule und eine große Küche, in der jeder sowohl Mittags als auch Abends umsonst zu essen bekommt. Drumherum verteilen sich kleine Kiosks, Teehäuser und Wohnhütten aus Bambus. Hier möchte ich die nächsten Tage bleiben und das erste Mal meditieren." 

 


9. Dezember

17. Juni 2014, irgendwo (Myanmar) – wieder vollkommen ohne Orientierung, dafür aber in guter Gesellschaft

„Ich liebe reisen! Immer passiert etwas Neues und Unerwartetes! Jetzt sitze ich nicht mehr auf meinem Meditationskissen, sondern in einer Bambushütte, deren dünne Beine tief im Schlamm eines sumpfigen Gewässers stecken und bei Hochbetrieb das ganze Dorf zu tragen vermögen. Heute morgen kam der Sayadaw (der Hauptmönch) auf mich zu und bot mir an mit ihm und seinem Gefolge eine mehrtägige Reise durch das Land zu machen. Er wolle einige seiner Hilfsprojekte besuchen, die Lage in anderen Dörfern ansehen, mit den Menschen dort reden und sie nach ihren Nöten und Bedürfnissen fragen. Mit Freude sagte ich zu und eh ich es mir versah, saß ich mit den anderen auf der Ladefläche des Transporters. Nach drei Stunden Fahrt erreichten wir dieses kleine Dorf. Es gibt keinen Strom, jedoch zwei Toiletten, zu denen man durch das knietiefe Wasser waten muss. Ich beeile mich immer. Besonders wenn ich wieder die Silhouette eines Blutegels an mir vorbeihuschen sehe. Wenn ich besonders schnell durchs Wasser laufe, habe ich Schwierigkeiten menschliche Fäkalien von den Blutsaugern zu unterscheiden. Die Toilette ist zwar kein Plumpsklo, doch ist das Rohr nicht lang genug und führt direkt ins selbe Wasser.

 

Das gute Essen und die herzliche Gastfreundschaft lassen mich diesen Umstand aber schnell vergessen.“ 


10. Dezember

18. Juni 2014, im selben irgendwo-Dorf wie gestern (Myanmar)

„Verrückte und glückliche Tage verbringe ich gerade mit den Mönchen und Nonnen! Die Nacht war lang. Saß mit der Nonne Khema noch bis spät nachts zusammen und sprachen mit gedämpften Stimmen über den Theravada-Buddhismus. Zum Schlafen teilen wir uns ein Moskitonetz und sobald sich ihre Augen schlossen, stimmte ihr lautes Atmen in das Zikadenkonzert von draußen ein. Um 4 Uhr morgens zog jemand an der Befestigung des Netzes, es sackte zusammen. Guten Morgen! Zeit zum Meditieren. Ich saßs da zwischen Traum und Realität. Bezweifle, dass das Meditieren war. Auch Khema kippte schlaftrunken von einer Seite zur anderen. Das Telefon einer anderen Nonne klingelte, sie ging dran und fing an laut und schnell zu reden, ohne sich an der Meditation der anderen zu stören. Die anderen störten sich aber auch nicht an ihr.“


11. Dezember

18. Juni 2014, on the road im Auto (Myanmar)

 „Die Straßen sind unglaublich schlecht und mein Steißbein leidet unter dem Schlamm und Schlaglöchern mindestens genauso wie die Blattfedern des Transporters. Versuche trotzdem ein paar Zeilen zu Papier zu bringen. Nach dem Frühstück haben sich unsere Mönche und die aus dem Dorf zusammengetan und sind mit ihren Almosenschalen durch die umliegenden Dörfer gelaufen, um die Gaben der Bewohner zu empfangen. Das Verständnis von Geben und Nehmen unterscheidet sich deutlich von unseren westlich geprägten Vorstellungen. Im Buddhismus Myanmars versteht man das Geben als eine Möglichkeit sein Karma zu verbessern, ein Geschenk der Mönche an die Menschen - Dankbar sein fürs Geben. Von Sayadaw erhalte ich den Auftrag den Mönchszug zu fotografieren, wie auch den Rest der Reise. Meine Legitimation dabei sein zu dürfen. Das Fotomaterial will er für seine Werbekampagne nutzen. Ich vermute hinter diesem bescheidenen, knochigen und wortkargen Mönch einen gewieften Geschäftsmann – Geschäftsmann der guten Tat.“ 


12. Dezember

 19. Juni 2014, Irgendwo-Dorf Nr.2 (Myanmar)

„Um 10 Uhr Abends verließen wir das erste Dorf. Ich hatte diesmal das Glück im Innenwagen zu sitzen. Eingequetscht zwischen einer Nonne und einem Mönch. Zwischen dem Mönch und mir musste allerdings eine Tasche als Trennung gestellt werden, da ich als Frau die Mönche nicht berühren darf – das gelang mir auf der Fahrt nur so semi. Der Schlafentzug und der ereignisreiche Tag, ließen meinen schlaftrunkenen Kopf, immer wieder von der einen auf die andere Seite fallen. So wurde ich immer wieder von dem schmerzhaften Rums geweckt, der meine Schläfe durchzuckte, wenn mein Kopf hart auf der Schulter des Mönches aufschlug. Er tat höflich so, als ob er es nicht merken würde. Mir war es extrem unangenehm.“ 


13. Dezember


20. Juni 2014 , Irgendwo an der Küste (Myanmar) 

"Sind nach Ankunft im zweiten Dorf alle zusammen zum Strand gelaufen. Die Fischer erklärten uns ihre Arbeit, wir entdeckten die verschiedensten Meeresbewohner und fuhren mit dem Transporter in einem Affenzahn über den leeren Strand. Im Dorf berichten die Bewohner*innen wie sie die Katastrophe vom Sturm Nargis 2008, der die Region besonders hart traf, überlebten. Das hat mich ziemlich mitgenommen. Bin aber auch tief beeindruckt und berührt von ihrer unerschütterlichen Hoffnung und der Tatkraft ihre Heimat wieder aufzubauen. Was in mir vor geht, kann ich nicht in Worte fassen." 


14. Dezember

20. Juni 2014, zurück im Thabarwa-Center aber auch nur kurz (Myanmar)

"Todmüde bin ich nach der langen Reise auf meine Holzpritsche gefallen. Über mehrere Tage pro Nacht nicht mehr als vier Stunden geschlagen. Meine Gedankenkanäle fühlen sich verstopft an. Komme mit der Verarbeitung der Eindrücke nicht hinterher. Sehne mich nach etwas Ruhe. Doch nicht hier im Center! Um 06:00 morgens stand Khema wieder vor meiner Tür. Ob ich bereit für die nächste Reise in ein abgelegenes Dorf sei? Natürlich! Meine Neugierde ließ keine andere Antwort zu. In der Nacht hatte es besonders viel geregnet und die Straßen waren schlechter zu befahren als ohnehin schon. Nach zwei Stunden blieb der Wagen im Schlamm stecken. Kein vorwärts- kein zurückkommen. Wir mussten zu Fuß weiter. Barfuß rutschten wir mehr durch den Matsch, als dass wir gingen. Abwechselnd fielen wir hin um uns gegenseitig wieder aufzuhelfen. Nach über einer Stunde war ich ziemlich genervt. Die anderen nahmen die Situation gelassener hin und setzten einen Schritt vorsichtig vor den anderen. Ich trampelte unachtsam den Pfad entlang, grummelte leiste vor mich hin und versuchte den Blutegeln aus dem Weg zu gehen. Es dämmerte bereits und das Dorf war noch nicht in Sicht. Ich dachte bereits jetzt daran den selben Weg im Dunkeln wieder zurückzulaufen. Kein Stimmungsaufheller!"


15. Dezember

Fortsetzung Eintrag 20. Juni 2014 (Myanmar)

 

„Nach 1 ½ Stunden Rutschen kamen die ersten Bambushütten in Sicht, Bewohner liefen uns entgegen. Zwei starke Jungs packten mich rechts und links und halfen mir über die letzten schlammigen Meter. Im Dorf angekommen, wurden wir bereits von einer riesigen Menschentraube und heißem Tee erwartet. Wir ruhten uns in der Hütte des Dorfältesten aus, während Sayadaw mit diesem sprach und sich nach den Bewohner*innen erkundigte. Eine Frau saß neben mir, reichte mir eine Tass und nahm fest meine Hand. Wir sahen uns an, lachten und freuten uns aneinander. Die Grammatik des Herzens ist überall gleich.“


16. Dezember

Fortsetzung 20. Juni 2014 (Myanmar)

„Inzwischen war es vollständig duster geworden. Der (Neu-)Mond ließ uns mit dem Rückweg alleine zurück. Ich bereitete mich innerlich auf den beschwerlichen Rückweg vor. Von draußen hörte ich ein kräftiges Schnauben und als wir aus der Hütte traten, warteten dort zwei Ochsenkarren auf uns, um uns sicher zu unserem Transporter bringen sollten. Die Stimmung war ausgelassen. Wir verabschiedeten uns, verteilten uns auf die Karren und klammerten uns an die wenigen Griffmöglichkeiten. Eine vergnügliche, wenn auch abenteuerliche Fahrt. Die Ochsen schwammen mehr durch den Schlamm, als das sie liefen. Einmal drohten wir zu kippen, doch schafften wir es sicher zu unserem Transporter. Ich kann immer noch nicht fassen, was ich hier erlebe. Wie solche Erlebnisse meiner Familie und Freunden daheim begreifbar machen? Noch nie habe ich mich so weit weg von meiner gewohnten Lebensrealität gefühlt – Ich bin zutiefst dankbar! Dankbar für all das, was ich hier erleben kann und dankbar für all die Menschen, die mir das ermöglichen und mich an ihrem Leben, ihren Perspektiven teilhaben lassen.“ 


17. Dezember

16. Dezember 2018, Hlaing Township, schon seit zwei Monaten in Yangon arbeiten (Myanmar)

„Ich merke wie mir mein Leben neben der Arbeit aus den Händen zugleiten droht. Als ob Sand durch meine Finger rieselt und ich vergeblich versuche jedes Korn einzeln zu retten.

 

Regelmäßig um 23 Uhr nach Hause zu kommen ermüdet und von der dreckigen Wäsche erwartete zu werden noch mehr. Die Wassereimer im Badezimmer zu befüllen und mit schlappen Armen in die Küche zur Waschmaschine zu tragen ist das letzte was ich nach Feierabend machen möchte. Ich ignoriere die dreckige Wäsche bis eine Stunde mehr Schlaf mich mein letztes Bikinihöschen (statt Unterwäsche) kostet. Die gähnende Leere des Kühlschranks, der sehnsüchtig auf den Einkauf wartet, scheint mich zu verschlucken. Dann eben ohne Abendessen ins Bett. Leben von Luft und … Müdigkeit. Ab und an wünschte ich mir eine der Kakerlaken zu sein, die regelmäßig in unserer Küchenspüle ertrinken. Sie sehen so friedlich aus, wie sie dort in der trüben Plörre ihre dünnen Beinchen sehnsüchtig Richtung Himmel strecken. Von den 12 bis 16 Stunden Arbeit pro Tag bis zu zwei Wochen am Stück erlöst.“


18. Dezember

21. Dezember 2018, im Bus nach Taunggyi (Myanmar)

„Mit der Hoffnung auf Erlösung von meiner Erschöpfung bin ich in den Bus Richtung Taunggyi gestiegen. Habe mir bis zum 24.12. Urlaub genommen. An Heiligabend dann wieder arbeiten, kein Feiertag in Myanmar! Noon und Sua Aung, die mittlerweile in den USA leben, haben mich auf die Hochzeit ihrer Schwester in den Shanbergen eingeladen. Ich bin neugierig auf ihre Familien und auf die Festlichkeiten! In 12 Stunden werde ich aussteigen und endlich wieder im Shan-Staat sein. Doch vorher Schlaf nachholen!“ 


19. Dezember

22. Dezember 2018, im Auto Richtung Hochzeit! (Myanmar)

„Als ich die Augen wieder öffne, schlängelt sich der Bus von den nebeligen Anhöhen der Berge ins Tal hinab. Sowohl der Mensch als auch die Sonne kämpfen sich durch den morgendlichen Nebel dem Tag entgegen. Eine kribbelnde Vorfreude macht mich schneller wach als mir lieb ist. Es ist 7 Uhr morgens. An der Bushaltestelle reiben sich Sua Aung und Noon den Schlaf der letzten Nacht aus den Augen. Die Wiedersehensfreude ist unbeschreiblich groß! Zwei Jahre ist unsere letztes Treffen in Denver Colorado schon her. Zusammen mit ihrem Onkel gehen wir erst einmal die selbst in Yangon berühmten Shan-Nudeln frühstücken. Nach weiteren Erledigungen in der Stadt, fahren wir zwei Stunden in ihr Heimatdorf wo die Festlichkeiten stattfinden sollen.“ 


20. Dezember


22. Dezember 2018, im Shan-Dorf (Myanmar)

„Ich werde herzlich von einer herzlich-beleibten Frauenrunde in Empfang genommen! Die Hochzeitsvorbereitungen laufen auf Hochtouren. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass diese bereits heute stattfindet, so viele Menschen helfen mit. Doch Zeit für einen Willkommensplausch ist immer. Ich lerne die Brautmutter, den Brautvater, die Brautgeschwister, die Brautonkels und Tanten und zuletzt die Braut selbst kennen. Es wird gelacht, die Sonne scheint und die Stimmung ist ausgelassen. Ich schalte den Flugmodus an und schlagartig legt sich die Erleichterung wie Honig um mein Gemüt. Keine Anrufe sind mehr zu erwarten, versteckt hinter der Notlüge keinen Empfang in der Abgeschiedenheit des Dorfes zu haben. Eine fadenscheinige Lüge denn, seit die Chinesen in die Mobilfunkbranche Myanmars investieren, gibt es fast flächendeckend Empfang. Diesen Fakt hatte ich allerdings vergessen, als ich ankündigte evtl. nicht erreichbar zu sein. Es gibt kein Schlupfloch der Abgeschiedenheit mehr, außer vielleicht die nach wie vor mangelhafte Stromversorgung. Die Ausrede „Akku war alle“ ist in Myanmar nach wie vor eine gute Idee. Ich schaue mich um: Wirklich keine einzige Stromleitung weit und breit.“


21. Dezember

„Noch am selben Tag entleert sich die Anspannung der letzten Wochen in unaussprechlichen Formen in die Toilette und nockte mich für mehrere Stunden aus. Oben und unten machte sich mein Körper vom Stress frei – Die etwas andere, rabiatere Detoxkur. Nach einer Mütze voll Schlaf geht es schon wieder besser. Es wird der selbstgebrannte Reiswein auf den Tisch geholt und auf die schnelle Genesung angestoßen. Prost! Danke, oh mein tapferer Magen, mein treuster Reisebegleiter, dass du so widerstandfähig bist! Während wir uns in gemütlicher Runde die Kannte geben, wird im Hintergrund das Notstromaggregat vorbei geschoben. Als es dunkel wird folgen wir seinen Spuren und landen bei dem besten Polterabend auf dem ich je war! Eine Band spielt Shan-Klassiker und abwechselnd wird Karaoke gesungen. Ob es den Zuhörer*innen gefällt oder nicht… das kann man an den Scheinchen erkennen, die einem während des Auftritts in die Hand gedrückt werden (oder auch nicht…). Ich muss auch ran! Shan-Songs gehören allerdings nicht in mein Standard Karaoke Repertoire und irgendwie vermute ich, dass die Band Trude Herr mit „Ich will keine Schokolade“ nicht kennt. Also sing Noon für mich, hält dabei meine Hand, während ich unbeholfen vor dem ganzen Dorf stehe und hin und her wackel. Wir zählen viele Scheine. Mir ist es peinlich diese anzunehmen aber es wäre wohl eine Beleidigung es nicht zu tun. Auf dem nächsten Wochenmarkt werde ich alle zum Essen einladen. Dann fällt der Generator plötzlich aus… Party aus! Wir torkeln Richtung Schlafplatz. Breiten die Matten aus. Alle Frauen schlafen heute im Haus der Braut. Gute Nacht!“ 


22. Dezember

23. Dezember

24. Dezember
Frohe Weihnachten

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