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Sturm und Drang des Reisens

 

 

„Wie fest doch dieser junge Reisende entschlossen ist, sich auf jenem Wege dahintreiben zu lassen, die ihn an die Schwelle des unbekannten Landes bringen sollen!“ [1]

Orhan Pamuk

 

Diese Zeilen verfasste Orhan Pamuk in seinem Roman „Das neue Leben“ und wahrhaftig, das Reise ist für den Reisenden ein ganz und gar neues Leben. Kein Tag gleicht dem anderen, keine Menschenseele scheint einem bekannt, Sitten und Gebräuche werden einem immer fremdartiger je mehr man sich dem Heimatsort entfernt. 

Im besten Fall dient die englische Sprache zur Verständigung, doch meist sind Hand und Fuß ergiebiger für die Kommunikation zwischen Fremden und Fremden. Warum das vertraute Umfeld daheim verlassen? Warum in die Ferne ziehen und sich ungeahnten Gefahren aussetzten? Warum sich der Ungewissheit was am nächsten Tag geschehen mag ausliefern? Ist es vielleicht gerade diese Ungewissheit, die uns in die große weite Welt schickt? Ist es der Geschmack von Abenteuer den wir suchen? Ist es die Suche nach Erkenntnis? Neugierde?

Hermann Hesse drückte die widersprüchliche Beziehung zwischen dem Reisen und des Daheimbleibens so aus:

  

Heimathaben ist gut,

Süß der Schlummer unter eignem Dach,

Kinder, Garten und ein Hund. Aber ach,

Kaum hast du vom letzten Wandern geruht,

Geht dir die Ferne mit neuer Verlockung nach.

Besser ist Heimweh leiden

Und unter den hohen Sternen allein

Mit seiner Sehnsucht sein.

Haben und rasten kann nur der,

dessen Herz gelassen schlägt,

Während der Wanderer Mühsal und Reisebeschwer

In immer getäuschter Hoffnung trägt.

Leichter als Friede finden im Heimattal,

Wo in heimischer Freuden und Sorgen Kreis,

nur der Weise sein Glück zu bauen weiß.

Mir ist besser, zu suchen und nie zu finden,

statt mich eng und warm an das Nahe zu binden,

Denn auch im Glück kann ich auf Erden,

Doch nur ein Gast und niemals ein Bürger werden.[2]

 

Auf Reisen durchläuft der Mensch eine Veränderung. Er ist gezwungen auf die Welt zu vertrauen, frei nach dem Motto „Es wird schon gut gehen“. Er lernt nicht nur die Gelassenheit, die uns allzu oft in der westlichen Welt abhandengekommen ist, sondern auch ein anderes Verständnis der Zeit, denn man muss geduldig mit sich und anderen Kulturen sein. Der Reisende wächst an den Herausforderungen und Situationen, die einem im daheim gebliebenen Alltag nie aufgesucht hätten. Alles intensiviert sich: Farben, Gerüche, Geräusche und über dies sowohl Leiden als auch Freude. Er wird hin und hergeworfen, er ist gezwungen sich im Fremden zu behaupten, wie ein Schiff auf tosender See. Erst wenn der Reisende wieder im trauten Heim angekommen, wird er merken, dass der raue Sturm, der durch seine Seele fegte, seine Wurzeln nur tiefer in das Erdreich wachsen ließ. Und nun steht ein starker Baumstamm zwischen stolzer Krone und tief reichenden Wurzeln. Das Wiederkommen ist nicht leicht für den reisenden Abenteurer. Wie das Erlebte Freunden und Verwandte begreifbar machen? Welche der zahlreichen Geschichten soll man erzählen? Welche Erlebnisse sind bereits verarbeitet, welche bereit in Worte zu fassen? Erst nach einer Weile wird er sich ihnen bewusst und beginnt diese preiszugeben.

 

Nach Dr. Michael Haller, ehemaliger Professor für Journalistik an der Universität Leipzig, ist das menschliche Publikum schon seit Jahrtausenden dankbar für neue Geschichten und drückt es so aus:

 

„Die Lust am Geschichtenerzählen wie auch die Neugier, Geschichten zu hören, sind offenbar so alt wie unsere literarisch gestaltete Kultur, vielleicht sogar so alt wie die menschliche Sprache […] Der Erzähler ist auf Reisen gewesen, doch seine Erzählung lebt nicht vom Erzählen der Reise, sondern vom Nahebringen des Fernen.“[3]

 

Um noch einmal auf die zentrale Frage zurückzukommen: Warum reisen? Warum das wohlig warme und sichere Nest verlassen? Sich der natürlichen Angst vor dem Fremden stellen?

 

Diese Frage kann nur jeder für sich beantworten und ich komme auf meinen persönlichen Schluss:

Ich bin zu neugierig! Diese Neugier schmeißt mich immer wieder aufs Neue aus meinem wohl vertrauten Heim der Gemütlichkeit. Meiner Kindheit habe ich die Neugier auf andere Länder und Kulturen zu verdanken, die Pflege dieser ist mir nicht minder wichtig, denn sie ist zwingend an mein Schicksal, wenn man die früh-kindheitliche Prägung so nennen mag, gebunden. Auf meiner letzten Reise durch Nepal erlebte ich einen ganz und gar wunderlichen Moment. Einen Augenblick vollkommener Glückseligkeit, in dem ich verspürte genau richtig zu sein. Im Hier und Jetzt zu leben und mich dessen zu erfreuen. Nicht an morgen, nicht an gestern zu denken. Pure Freude in einer vollkommen fremden Umgebung. Die Geschichte hinter diesem Erlebnis mag hier nicht wichtig sein. Wichtig ist mir das beschriebene Gefühl. Nur auf meinen Reisen komme ich diesem nahe.

Doch nicht die Suche nach dieser Glückseligkeit[4] lässt mich immer wieder in die Ferne ziehen. Die Neugier als Antrieb und das Staunen über die Vielfältigkeit dieser Welt als Ziel.

Auf Reisen lernt man viel dazu und vor allem wird einem bewusst, dass es noch so viel mehr zu begreifen gibt und dass das mir gegebene Leben wohl nicht ausreichen wird. Meine persönliche Lebensversicherung: Die Gewissheit, dass meine Neugierde nie auf den Grund dieser Erde stoßen wird und daran zerbricht. Hätte ich keinen Grund mehr die Welt zu entdecken würde ich eingehen wie meine Kräuter auf der Fensterbank, wenn ich mal wieder das Land verlassen habe. Der tiefste Drang der Seele auf Reisen zu gehen, schickt einen durch innere und äußere Stürme, um das kostbare Leben auf der Welt schätzen und lieben zu lernen.


 

[1] Pamuk, Orhan: „Das neue Leben“, Frankfurt am Main 2001, S.60

[2] Hesse, Hermann: „Aus Indien: Aufzeichnungen, Tagebücher, Gedichte, Betrachtungen und Erzählungen“

[3] Haller, Michael: „Die Reportage – Ein Handbuch für Journalisten“, Konstanz 1997, S.20

[4] Ich glaube, dass diese Momente so selten im Leben auftreten, so dass es sich nicht lohnt danach zu suchen. Man würde vergeblich suchen. Ich vermute sogar, dass die konkrete Suche danach sogar ihr Auffinden verhindert. 

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