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Der letzte Tag im Tea House

Dem Jahr bleiben nicht mehr als wenige Stunden. Im deutschen Fernsehen jagt ein Jahresrückblick den anderen. Was war wichtig? Wer war wichtig? Wen wird die Welt auf ewig schmerzlich vermissen? Untermalt mit dramatischer Musik.

Moderatoren verkünden, dass die ganze Welt auf das Neue Jahr wartet. Die Raketen für den großen Knall würden schon in den Startlöchern stehen und der Sekt bereits im Tiefkühlfach lagern.

 

Tick Tack – So klingen die letzten Schritte des Jahres, durch die Zeitzonen, um die Welt.

 

In Myanmar wird, von der bunten Leuchtreklame „Happy New Year“ mal abgesehen, das neue Jahr nur mit einem gleichgültigen Schulterzucken zur Kenntnis genommen – nicht überall auf der Welt wird ausgelassen gefeiert. Das neue Jahr wird hier erst im April mit einer großen Wasserschlacht begrüßt und das eine ganze Woche lang. Nur die Ausländer, die Expats, bereiten sich auf die große Sause vor. Und was mach ich? Ich sitze währenddessen in einem Tea House in Yangon, am Fuße der goldenen Shwedagon Pagode. Ich könnte mir keinen besseren Ort vorstellen, als genau hier mein Jahr ausklingen zu lassen.

Hier tummelt sich das Leben, hier trifft man sich, um Neuigkeiten auszutauschen, um über die neue Nachbarin zu quatschen – Klatsch und Tratsch geht über die Theke, wie bei uns die ofenwarmen Semmeln an einem Sonntagmorgen. Dazu ein burmesischer Tee, bestehend aus Schwarztee und ganz viel süßklebriger Kondensmilch. Am meist zugemüllten Straßenrand hockt man auf winzigen Plastikstühlen. Der Asphalt ist gesäumt von Instant Coffeemix- und gelben Essstäbchenverpackungen made in China, Kippenstummeln, zwischen denen dunkelrot die Flecken des Betelnussspeichels leuchtet. Ein Odeur der Kanalisation, ein Bukett der Verwesung, schmeichelt einem hin und wieder um die Nase. Wen stört das schon? Niemanden!

Auch mich stört es nicht! Im Gegenteil! Das ist Myanmar, das ist Yangon, das ist mein Morgen. Ein Morgen unter vielen und doch der letzte des Jahres. Ich will nirgendwo anders sein. Ich schlürfe Tee, das fettige Morgengebäck in die süße Kondensmilchplörre zu tunken bereitet mir äußerstes Vergnügen, dabei zu lesen und immer wieder über die Buchseiten hinweg zu linsen, um das geschäftige Treiben zu beobachten.


Zwei Mönche sitzen am Nebentisch. Der eine von knochiger Gestalt mit runzeligem Gesicht, der andere pausbäckig, sein Wohlstandsbäuchlein unter dem ehrenvollen Safranrot der Mönchsrobe versteckt. Er schaut durch das Rund seiner Brille auf sein Handy und scrollt gelangweilt auf und ab, während seine weitaus neugierigere Begleitung umherschaut. Er entdeckt mich, entdeckt meine Kamera, seine Augen fangen an zu strahlen. Er hebt seine Finger zu einem imaginären Fotoapparat geformt vor sein Gesicht, drückt auf den Auslöser und ruft „Foto, Foto!“


Ich verstehe. Der beleibte Mönch schaut für einen Moment von seinem Display auf, lächelt pflichtbewusst. Ich schieße ein Foto. Sobald er das Klicken des Auslösers hört, wendet er sich wieder seinem Leben als burmesischer Influencer zu. Social Media schläft nie und möchte bespaßt werden. Der andere Mönch bringt seine Freude über das Bild, mit dem Daumen nach oben gestreckt, zum Ausdruck.

 

Daumen hoch! Nicht nur für die Aufnahme der zwei Männer im Tea House. Auch für mein Jahr 2018 – ein besseres Sinnbild kann ich mir in diesem Moment kaum vorstellen. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Peter Weigel (Montag, 31 Dezember 2018 15:51)

    Hallo liebe Mia,

    schön, auf diesem Weg mal wieder etwas von dir zu hören. Wir wünschen dir auf deinem kleinen Stühlchen einen tollen Tag und auch einen Jahreswechsel, so wie du Lust hast. Behalte dir die gute Laune und nimm dir nicht zuviel für 2019 vor.
    Ganz liebe Grüße aus Wuppertal