· 

Ein burmesischer Morgen in den USA

Es ist 10 Uhr morgens. Ich sitze in einer kleinen Küche in der Nähe von Denver im amerikanischen Bundesstaat Colorado. Aus dem Wohnzimmer ertönt die Aufnahme einer Mönchstimme, die monoton die Lehre Buddhas verkündet. In Burma besser bekannt unter der Bezeichnung dhamma talk. Für mich ein vertrauter Klang, der mich an die Zeit im „Land der goldenen Pagoden“ erinnert – eine von der Tourismusbranche glorifizierte[1] Bezeichnung, die zwar berechtigt für die aufkommende Hoffnung auf Wohlstand und Frieden ist, in Anbetracht der schwelenden ethnischen Konflikte jedoch auch höhnisch erscheint.

 

Die burmesische Familie, bei der ich für zwei Tage untergekommen bin, scheint an diesem Morgen nur wenig Interesse an der Lehre Buddhas zu zeigen. Sie haben andere Probleme, andere Sorgen, die sich in ihren Blicken widerspiegeln. Wir sitzen zusammen am Küchentisch. Dao, seine Freundin Suan, das befreundetes Ehepaar Kaung und Sue und ihr Freund Saw Tun [2], allesamt Geflüchtete aus Burma. Saw Tun war so lieb uns zum Frühstück Mote Hin Bar zu kochen, eine scharfe Nudel-Fischsuppe die traditionell im Shan Staat [3] Burmas gegessen wird. Dazu gibt es Kaffee. Eine seltsame Kombination, doch mir gefällt die Verschmelzung von westlicher- und asiatischer Auffassung von dem ersten Mahl am Morgen, auch wenn es geschmacklich etwas sonderbar anmutet.

 

Saw Tun ist bereits von Kaffee auf Bier umgestiegen. Ich deute auf die Bierflasche in seiner Hand, ziehe mit einem vielsagenden Blick die Augenbrauen hoch. Der untersetzte Mitte 40 jährige Mann fühlt sich in keiner Weise ertappt. Er winkt ab: „Just on weekend, during the week no“. Seine großen Augen scheinen ihm aus dem Kopf zu kullern. Ein zufriedenes Glucksen entspringt seiner Kehle, genüsslich streicht er sich über sein Wohlstandsbäuchlein. Er gehört der Ethnie der Bamar an, verheiratet ist er mit einer Shan-Frau, über die er seine nun anwesenden Freunde kennenlernte. Saw Tun hatte in Burma auf dem Markt in Taungyi einen Bisquit-Shop, den er jedoch heruntergewirtschaftet hat, wie er reumütig zugibt. Er sei jung und dumm gewesen. Nun hat er den Traum in Denver ein burmesisches Restaurant zu eröffnen. Dem Geschmack seiner Suppe zu urteilen kann das nur eine Bereicherung für die Stadt werden.

 

Saw Tun ist ein hervorragender Geschichtenerzähler. Sein Englisch ist lückenhaft, darum erzählt er seine Anekdoten auf Burmesisch. Ich verstehe natürlich nicht viel, doch erkenne ich an seiner lebhaften Art und den gespannten Blicken der anderen seine Redekünste.

Die Hintergrundgeräusche sind immer noch geprägt von den heiligen Worten Buddhas. Der Hobbykoch widmet sich lieber seinem zweiten Bier. Während seine Erzählungen kein Ende zu nehmen scheinen, greift er geschickt mit zwei Stäbchen zu einem Stück Fleisch, tunkt es in die scharfe Sauce und lässt es in seinem Mund verschwinden. Haps weg! Seine Geschichte scheint gefüttert zu werden und sie verstummt für einen kurzen Moment.

 

Meine aufkommenden Kopfschmerzen erinnern mich an die vergangene Nacht, sie war lang. Nach einem ausgiebigen Dinner wurden Nüsse geknackt, gelacht, gesprochen und Alkohol getrunken. Doch war die Stimmung nicht immer ausgelassen. Für alle Beteiligte hatte der augenscheinliche Frohsinn einen bitteren Nachgeschmack von Ablenkung. Alle an diesem Küchentisch haben ihre eigene, meist tragische Geschichte, die vor allem von der komplizierten gesellschaftlichen und politischen Situation Burmas geprägt ist. Für eine Außenstehende wie mich nur schwer zu durchschauen. Die zahlreichen Gespräche mit ihnen gaben mir jedoch eine Idee von den Konflikten in ihrer Heimat dem Shan-Staat, der die östlichen Ländergrenzen Burmas stellt und an China, Laos und Thailand grenzt. Alle haben immer noch Familie in den umkämpften Gebieten, um die sie sich weiterhin Sorgen machen müssen. Zu Recht, denn einer ihrer Brüder sei zwangsrekrutiert worden. Die Familienmitglieder vor Ort würden zurzeit versuchen ihn freizukaufen, doch bisher vergeblich. Den Gruppierungen fehle es an Soldaten, die mit Geld nicht zu kaufen seien. Doch wer kämpft im Shan-Staat gegen wen und warum? Für mich nur schwer einzuschätzen. Selbst die Landesbevölkerung hat durch die unübersichtlichen Lage, Probleme Antworten auf diese Frage zu finden.

 

Wenn man Burma verstehen möchte, fängt man am besten damit an sich die Vielschichtigkeit der Bevölkerung bewusst zu machen. Das Land ist ein Vielvölkerstaat und umfasst in seinen Grenzen rund 137 verschiedene ethnische Gruppen, die alle in unterschiedlicher Weise zueinander stehen, mal in einem freundschaftlichen, mal in einem kriegerischen Verhältnis. Jede dieser Gruppen verfolgt meist diametrale Interessen. Das sorgt für ein großes Konfliktpotenzial und eine Destabilisierung des Landes; besonders im Falle des Shan-Staates.

 

Nach Angaben Daos und Suans kämpfen in den nördlichen Shan-Regionen bis zu fünf verschiedene militärisch organisierte Gruppen gegeneinander. Unter anderem die burmesische Regierungsarmee, hauptsächlich bestehend aus der größten ethnischen Gruppe im Land: den Bamar. Die Paulaung-Armee, die innerhalb des Shan-Staates für autonome Besitzansprüche kämpft und weitere bewaffnete Shan-Gruppierungen, die sich grob in die Shan-Army South and North unterteilen.[4]

Die in den umkämpften Regionen liegenden Dörfer müssten an alle militärischen Gruppen Schutzgeld zahlen, sodass den Familien wenig zum Überleben bliebe. Hinzu käme, dass die Paulaung und die Shan-Army North Zwangsrekrutierungen vornehme, da es ihren Einheiten an freiwilligen Soldaten fehle. So würden den Familien die Söhne entrissen. In schwerwiegenden Fällen würden sogar Brüder sich gegenseitig bekämpfen müssen, da jeweils andere Gruppierung sie rekrutierten. Desertieren wäre keine Option, da es üblich wäre die Familienangehörige zu kidnappen, um die jungen Zwangsrekruten durch Erpressung zu Rückkehr zu bewegen.[5]

 

Für mich ist es erstaunlich, wie viele Ereignisse sich zur selben Zeit auf der Welt abspielen. Während wir gemeinsam in der gemütlichen Küche beisammensitzen, bangen Familien um ihre Kinder, die irgendwo im Gestrüpp des Dschungels, kaum an der Waffe ausgebildet, auf ihre ihnen vorgegebenen Feinde warten.

 

Für mich drängt sich die Frage auf, wer über diesen Konflikt berichtet? Wer hält ihn fest und dokumentiert ihn? Wer macht sich die Mühe, die komplizierte Situation zu verstehen? Burma ist für die Öffentlichkeit nicht von großem Interesse, mit Ausnahme von kurzen Perioden, in denen von der Verfolgung der Rohingya [6] berichtet wird. Es müsste vermehrt vor Ort nachgeforscht werden, um die Erzählungen zu prüfen, um Vergleiche zu ziehen, um tiefer in die Problematiken des Landes einzutauchen.


[1] Myanmar rückt in den Fokus des wachsenden Interesses der Tourismusbranche und wird als das Land der goldenen Pagoden gepriesen, natürlich ohne die Schattenseiten zu beleuchten.

[2] Namen wurden geändert

[3] Die Shan-Staat ist Teil Burmas und liegt östlich an den Grenzen zu China, Laos und Thailand.

[4] Es sollen auch noch weitere Shan-Gruppen mit verschiedenen Interessen mitmischen, allerdings kann man von Deutschland aus die Lage im Detail nicht besser einschätzen. Dao und Suan stehen im stetigen Kontakt zu ihren Familien, die weiterhin im Shan-Staat leben. Von ihnen beziehen sie Informationen über aktuellen Lage.

[5] Generell sind alle Angaben nur schwer zu überprüfen. Im Internet gibt es kaum Informationen und wenn doch, dann ist die Glaubwürdigkeit der Quellen ungenügend.  Zurzeit plane ich eine Reise nach Burma, bei der ich hoffe weitere Informationen sammeln zu können.

 [6] Rohingya ist eine muslimische Volksgruppe, die seit Jahrzehnten massiver Verfolgung ausgesetzt ist und auf Grund dessen über die westliche Grenze von Burma nach Bangladesch flüchten muss. 


Ein kurzer Auszug aus dem Interview mit Dao und Suan

Kommentar schreiben

Kommentare: 0